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Full text of "Monitor 69 (2015 Mai)"

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Inhalt 

1 Was ein ehrbarer Mann tun 
muss 

Der Roman »Hunter« 

4 Geteilt & geliked 

Rassistische Potenziale im 
Land Brandenburg 

6 Rechte Existenzbeweise 
Rezension 

7 Kurzmeldungen 

8 Neu im Archiv 


(c) mamarosa / photocase.de 


Was ein ehrbarer Mann tun muss 


Der Roman »Hunter« von William Pierce als Vorlage für den 
Lone Wolf Terrorist 

Der Roman »Hunter« ist in der Diskussion um neonazistische Terrorismus-Konzepte und Blau¬ 
pausen für das organisierte Morden des NSU bisher gänzlich unbeleuchtet. Im Deutschland 
der 1990er Jahre hat anscheinend kaum jemand dieses Buch gelesen. Doch eine Analyse des 
Romans lohnt sich: Sein Protagonist ist der Prototyp des Lone Wolf mit Organisationsanbin¬ 
dung. Auch das Verhältnis zwischen Naziterrorist und Geheimdienst spielt eine zentrale Rolle. 


1 989 auf Englisch erschienen, ist Hunter der 
zweite Roman des durch die Turner-Tagebü¬ 
cher bekannt und populär gewordenen Autors 
»Andrew Macdonald« (Pseudonym von William L. 
Pierce). Der Autor William Luther Pierce, US-ame¬ 
rikanischer Neonazi, Gründer und Chef der Natio¬ 
nal Alliance und Autor verschiedener Aufsätze 
und des Romans »The Turner Diaries« ist weltweit 
berüchtigt und galt zu Lebzeiten (bis 2002) als 
die wichtigste Inspirationsquelle für militante 
»White Supremacists« and »Anti-Government 
Extremists«. Hunter wurde in den USA laut 
Eigenangabe des Verlags schon bis 1998 61.000 
Mal verkauft. Die Turner-Tagebücher sollen zwi¬ 
schen 1978 und 2001 angeblich 300.000 verkauft 
worden sein. Über die digitale Verbreitung ist 
nichts bekannt, beide Romane sind aber problem¬ 
los als pdf im Netz erhältlich. Pierce selbst hielt 
angeblich den Hunter für besser gelungen als die 
Turner-Tagebücher. 

Das Buch ist ein fiktionaler Roman, der in 
Washington D.C. der 1980er Jahre spielt. Der 


Hauptprotagonist und die absolute Identifikati¬ 
onsfigur ist der 40jährige Rechtsterrorist und 
Vietnam-Veteran Oscar Yeager. Die Leitfrage »How 
should an honorable man confront evil?« ist dem 
Roman vorangestellt, über das Vorbild Yeager lie¬ 
fert der Autor die Antwort: Werde Naziterrorist. 

Der Roman ist ein Bildungsroman im klassi¬ 
schen Sinne: Yeager beginnt als autonom agie¬ 
render emotional geleiteter Feierabendterrorist. 
Er professionalisiert und radikalisiert sich und 
kollaboriert eine Zeit lang mit einem FBI-ler. 
Schließlich wird er der heimliche Chef in einer 
Zelle organisierter Rassistlnnen, die bereit sind, 
den Kampf um die Köpfe auch durch illegale 
Aktivitäten zu führen. Er selbst bleibt aber der 
Lone Wolf, der auf dem Weg zum perfekten Terro¬ 
risten verschiedene Stadien durchläuft und diese 
den Leser_innen durch innere Monologe oder 
Dialoge mit anderen Figuren erklärt. Das Buch 
richtet sich offensichtlich vor allem an die eigene 
nationalsozialistische Szene und soll sie radika¬ 
leren. Der Leser (weniger die Leserin) wird für 


antifaschistisches pressearchiv 
und bildungszentrum berlin e.v. 
(apabiz) 

lausitzerstr. 10 | 10999 berlin 

geöffnet do von 15 bis 19 uhr 
und nach absprache 

fon | fax: 0 30.61162 49 

mail@apabiz.de 

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iban: DE30100205000003 320800 
bic: BFSWDE33BER 
bank für sozialwirtschaft 

monitor ist nicht im abo erhältlich, 
aber fördermitglieder bekommen 
ihn zugeschickt, mehr infos dazu 
gibt es auf der rückseite. 


monitor - rundbrief des apabiz e.v. | 
v.i.s.d.p.: apabiz e.v., c.schulze, 
Lausitzer str.10, 10999 berlin | dank an 
unsere fördermitglieder, die mit ihrem 
beitrag die finanzierung unterstützen | 
erscheinungsweise: alle zwei monate 
fotos: alle rechte Liegen bei den 
fotograf_innen 





antifaschistisches pressearchiv und biidungszentrum beriin e. v. 


10 


1 

Pierce zitiert nach 
Robert S. Griffin, The 
Farne of a Dead Man's 
Deeds: An Up-Close 
Portrait of White Natio¬ 
nalist William Pierce, 
2001, S. 240. 


2 

Seine Biografie weist 
maßgebliche Parallelen 
zum Handeln des Prot¬ 
agonisten im Hunter 
auf, so ist er für mehre¬ 
re rassistische und anti¬ 
semitische Morde und 
Bombenanschläge ver¬ 
antwortlich. 


3 

Vgl. www.inforiot.de/ 
cdu-trennt-sich-von- 
brandstetter/ 


4 

Dies lässt sich etwa in 
einem Nachrichtenaus¬ 
tausch zwischen den 
Usern UR Detroit und 
Felix Steiner2003 nach¬ 
vollziehen. Näheres 
dazu findet sich in der 
längeren Version dieses 
Artikels. 


5 

Vgl. Dirk Laabs: Der 
NSU, »The Order« und 
die neue Art des Kamp¬ 
fes, http://www.nsu- 
watch.info/2015/02/ 
der-nsu-order-und-die- 
neue-art-des-kampfes/, 
2.4.2015 


die potenzielle eigene Entwicklung 
vom skrupelhabenden Sympathisan¬ 
ten der nationalsozialistischen Idee 
zum entschlossenen militanten 
Kämpfer quasi an die Hand genom¬ 
men. »From the beginning with Hun¬ 
ter, I had this idea of how fiction can 
work as a teaching tool in mind« 
schrieb William L. Pierce. 1 Nicht-ras¬ 
sistische (und nicht-antisemitische 
etc.) Leser_innen dürften das Buch 
aufgrund der Gewalt- und Hassver¬ 
herrlichung hochgradig abstoßend 
finden. 

Thema 1: Heranführung an das 

Morden 

Die Geschichte beginnt mit der 
detaillierten Beschreibung eines Dop¬ 
pelmordes durch Oscar Yeager an 
einem »interracial couple«, sein 
sechster Doppelmord an »gemisch¬ 
ten« Paaren in 22 Tagen. Sein Modus 
Operandi ist zunächst immer dersel¬ 
be: gezielte tödliche Schüsse auf die 
Personen ohne Ansprache aus seinem 
Auto heraus, die selbe Waffe, das sel¬ 
be Auto, die Morde auf verschiedenen 
Parkplätzen. Später begeht der Prota¬ 
gonist Morde an Politikern und 
öffentlichen Persönlichkeiten sowie 
Bombenanschläge. Die Bilanz dieses 
»Ein-Mann-Krieges« umfasst am Ende 
des Romans weit über 100 Tote. Yea¬ 
ger handelt dabei im Alleingang, hin¬ 
terlässt keine Bekennerschreiben 
und hat keine Mitwisserinnen. In der 
detaillierten Beschreibung der Morde 
und der Beschreibung der befriedig¬ 
ten Gefühle des Mörders nach seinen 
Taten - inklusive erotischer Szenen 
mit seiner Freundin und Gesinnungs¬ 
genossin Adelaide nach den Taten - 
werden die Leser_innen, ähnlich wie 
bei den Turner-Tagebüchern, der 
Gewalt gegenüber nicht nur abge¬ 
stumpft sondern über ihren angebli¬ 
chen Wert und ihre positiven emotio¬ 
nalen und politischen Folgen belehrt. 
Die ideologische Grundlage wird in 
langatmigen gestelzten Dialogen 
mitgeliefert: Yeager formuliert seinen 
Hass auf die »Durchmischung der 
Rassen«, er beklagt den Zustand der 
heutigen dekadenten und verblöde¬ 
ten Gesellschaft, die wachsende Dro¬ 
gensucht und die offene Homosexua¬ 
lität. Seine Verachtung richtet sich 
gegen Medien, die Politik und politi¬ 
sche und zivilgesellschaftliche Orga¬ 


nisationen, die immer neue Gesetze 
gegen die (angebliche) Diskriminie¬ 
rung von >Nicht-Weißen< und für die 
Gleichbehandlung fordern und durch¬ 
setzen würden, um so die >Weißen< 
von ihrer Identität und jeglicher Teil¬ 
habe und Macht abzuschneiden. 
Durch zwei andere Figuren wird Yea¬ 
ger und mit ihm die Leser_innen zum 
»die Zusammenhänge (sprich die 
»jüdische Weltverschwörung«) ver¬ 
stehenden« Antisemiten geschult. 
Seine Taten entwickeln ein Zusam¬ 
menspiel mit Gesellschaft und Poli¬ 
tik, sie provozieren einen verschärf¬ 
ten Verfolgungsdruck und Anti-Nazi- 
Gesetze auf der einen, viele andere - 
zu Yeagers Frust oftmals aber dilet¬ 
tantische - Nachahmer auf der ande¬ 
ren Seite. 

Vorbilder und Nachahmer 

Pierce widmete das Buch Hunter 
zuerst dem rassistisch motivierten 
Serienmörder und Goebbels-Fan 
Joseph Paul Franklin, geboren als 
James Clayton Vaughn. Sie waren 
einander über die Amerikanische Nazi- 
Partei (NSWPP/ANP) bekannt. Die 
Widmung verschwindet nach der ers¬ 
ten Ausgabe, doch Franklin ist offen¬ 
sichtlich die reale historische Vorlage 
für den fiktiven Protagonisten Oscar 
Yeager des Roman Hunter, auch wenn 
Pierce das später bestreitet. 2 

Im Gegensatz zu den Turner- 
Tagebüchern, deren deutsche 
Übersetzung zumindest ab den 
späten 1990er Jahren in der deut¬ 
schen Nazi-Szene kursierte, war der 
Hunter unserer Einschätzung nach 
sowohl bei Nazis auch als bei Antifa- 
schist_innen weitgehend unbekannt 
oder zumindest ungelesen, sicherlich 
auch aufgrund der Sprache. Im Thia- 
zi-Prozess 2014 wurde allerdings the¬ 
matisiert, dass auf dem »Thiazi-Sam- 
pler«, der im Januar 2011 zur Finan¬ 
zierung des Forums veröffentlicht 
wurde, auch die deutsche Überset¬ 
zung »Jäger« von Pierces Roman ent¬ 
halten war. Im Forum hatte die Thia- 
zi-Moderatorin »Prometheusfunke«, 
Nicola Brandstetter, die Übersetzung 
als Aufgabe der crowd koordiniert.^ 

Die im Roman beschriebene Figur 
Yeager als Lone Wolf Terrorist ist in 
ihrer Perfektion ein fiktives Ideal, 
findet aber auch in der Realität der 
deutschen Neonaziszene ihre Ent¬ 


sprechung, mindestens auf der ima- 
ginierten Ebene. Wer sich in deut¬ 
schen Neonazi-Foren in die Denk- 
und zum Teil auch Handlungsweise 
einliest, findet heimliche Oscar Yea¬ 
gers dort.^ 

Thema 2: Die Notwendigkeit 

der Organisierung 

Der Lone Wolf-Prototyp Oscar 
Yeager und seine Freundin Adelaide 
finden im Laufe der Handlung 
Anschluss an eine unbewaffnete und 
klandestine Gruppe von Nationalist- 
Innen, die »National League«. Die 
Manipulation der Masse ist als optio¬ 
nale, ja sogar notwendige Methode 
legitimiert. Die League-Mitglieder 
sind die Elite, die die Menschen und 
dadurch den Verlauf der Geschichte 
in die gewollte Richtung beeinflus¬ 
sen. Die Vorlage für die »League« ist 
dabei offensichtlich Pierces eigene 
Organisation, die National Alliance. 
Aus der Gruppe ging nicht nur mit 
der rechtsterroristischen Gruppe The 
Order - Brüder Schweigen (1983/1984) 
ein Vorbild für spätere NSU-Mitglie- 
der 5 hervor, sondern auch eine Viel¬ 
zahl von Nazis, die durch Morde, 
Anschläge, Banküberfälle und ähnli¬ 
che Straftaten kriminelle bis terroris¬ 
tische Karrieren einschlugen. Dabei 
sind nicht nur die Turner-Tagebücher 
das Vorbild: Das FBI fand 1995 das 
Buch Hunter bei dem US-amerikani¬ 
schen Neonazi-Terroristen Terry Lynn 
Nichols, der zusammen mit Timothy 
McVeigh beim Bombenanschlag in 
Oklahoma 168 Menschen tötete und 
über 800 weitere verletzte. 

Laut Aussage des Neonazis und 
V-Mannes Sebastian Seemann im Rah¬ 
men der NSU-Ermittlungen sollte 
durch Marko Gottschalk aus dem 
Umfeld von Blood and Honour ca. 2005 
eine siebenköpfige Combat 18 Zelle in 
NRW aufgebaut werden. Den poten¬ 
ziellen Mitgliedern wurden nicht nur 
die Turner-Tagebücher als Pflichtlek¬ 
türe ausgehändigt sondern auch das 
Lesen des Hunter ans Herz gelegt. 
Den Ermittlerlnnen war das Buch 
übrigens gänzlich unbekannt und sie 
interessierten sich offensichtlich 
nicht weiter dafür. Wie bei allen Ter¬ 
rorismus-Konzepten und -Vorlagen 
von Neonazis ist jedoch auch beim 
Hunter deutlich, dass eine Kombina¬ 
tion vom hochgradig motivierten 


2 


monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 



antifaschistisches pressearchiv und biidungszentrum beriin e. v. 


Einzeltäter und Zellenstruktur und 
übergeordneter Kommandostruktur 
(wie bei den Turner-Tagebüchern) 
denkbar ist. 

Thema 3: Der Terrorist und der 

Staat 

Nazi-Terrorismus setzt darauf, 
nicht nur des Todes der Opfer willens 
zu morden und die Bevölkerung 
durch Angst zu manipulieren, son¬ 
dern auch den Staat zum Handeln zu 
zwingen. Die Wechselwirkung zwi¬ 
schen organisiertem neonazistischem 
und staatlichem Handeln ist immer 
eine wesentliche Komponente in The¬ 
orie und Praxis. Dabei ist die Kompli¬ 
zenschaft eines die eigenen Ziele 
unterstützenden Teiles der Behörden 
immer eine denkbare Option für Neo¬ 
nazis, die hoffen, gleichgesinnte 
Leute in den Behörden zu finden und 
sie sich nutzbar zu machen. Für die 
tatsächliche Kooperation zwischen 
Neonazis und staatlichen Behörden 
gibt es zahlreiche Beispiele. Doch die 
Nazis halten sich meist für schlauer 
in dem Spiel mit der Polizei. Aus 
ihrer Sicht sind dann mit dem 
Geheimdienst kooperierende Kamera¬ 
dinnen nicht die Handlanger des Sys¬ 
tems, sondern die Beamten des Sys¬ 
tems ihre eigenen Handlanger. Sie 
hoffen, das System auszutricksen. 
Sicherlich, offiziell gelten alle V-Leu¬ 
te und Spitzel als Verräter. Die NSU- 
Unterstützerin und Blood & Honour 
Chemnitz Aktivistin Antje Probst 
(heute B.) war noch 1997 recht reso¬ 
lut darin gewesen, B&H-Aktivisten 
der Spitzeltätigkeit zu verdächtigen 
und ihren Ausschluss zu fordern. 
Doch 1998 wiegelte sie ab: Durch die 
Kontakte von einigen B&H-Aktivis¬ 
ten zum Verfassungsschutz könne 
man die Geheimdienste auf falsche 
Fährten locken und die eigentlichen 
Aktivitäten umso ungestörter durch¬ 
ziehen. 

Im Roman Hunter erscheint diese 
Realität in einer verstörenden Weise 
widergespiegelt, denn ein zweiter 
Handlungsstrang im Roman ist Yea- 
gers Konflikt mit den staatlichen 
Sicherheitsbehörden. Eines Tages 
taucht der FBI-Mann Ryan bei Yeager 
auf und setzt ihn unter Druck: Er 
selbst unterstütze die Ziele Yeagers, 
wenn dieser von nun an für ihn 
arbeite, würde er ihn nicht festneh¬ 


men. Wie in den deutschen Behörden 
wird die »Quelle« vor Strafverfolgung 
geschützt, auch wenn Yeager nicht 
zum Spionieren, sondern zum Mor¬ 
den angeheuert ist. 

Das Spiel beinhaltet auch die kal¬ 
kulierte staatliche Repression gegen 
die eigene Organisation, aber vor 
allem gegen die gesellschaftlichen 
Teile, die sich gegen den Nazi-Terror 
wehren: Der Staat kriminalisiert 
Betroffene und Linke. So sind im 
Hunter auf mehreren Ebenen die 
möglichen Handlungsoptionen eines 
Naziterroristen und seinem Zusam¬ 
menspiel mit dem Staat und die 
damit verbundenen Gefahren und 
Gewissenskonflikte durchgespielt. 
Sie werden am Ende zugunsten der 
reinen Ideologie aufgelöst. 

Weitergedacht 

Über die Rezeption des Romans 
in der deutschen Neonazi-Szene und 
vor allem die Folgen der Übersetzung 
auf Deutsch im Jahre 2009 lässt sich 
bisher nur spekulieren. Ähnlich wie 
bei den Turner-Tagebüchern dürfte 
die Romanform den Hunter als nied¬ 
rigschwellige Lektüre für militante 
NS-Terroristlnnen und vor allem die 
sympathisierende Szene attraktiv 
gemacht haben. Als Konzeptvorlage 
oder zumindest als Inspiration die¬ 
nen im Hunter vor allem der beschrie¬ 
bene Modus Operandi von Hinrich¬ 
tungsgleichen Erschießungen von 
mehr oder weniger zufällig ausge¬ 
wählten Opfern einer bestimmten 
Feindbildgruppe an quasi öffentli¬ 
chen Orten - durch die immer gleiche 
Waffe und ohne Bekennerschreiben. 
Auch die Idee der Destabilisierung 
des Systems durch die Serienmorde 
und Bombenanschläge und das mög¬ 
liche Provozieren von »Rassenunru¬ 
hen« könnten Ideen gebend sein. Die 
erklärte oder heimliche Kombination 
von Morden und Anschlägen (durch 
klandestine Einzeltäter oder Klein¬ 
gruppen) und einem ideologischen 
Wirken nach Außen durch (im Vor¬ 
bild der »League« erst durch legale, 
dann klandestine Strukturen) dürfte 
die Realität des deutschen und inter¬ 
nationalen Rechtsterrorismus gut 
widerspiegeln. Die menschenverach¬ 
tenden Denkweisen sind repräsenta¬ 
tiv für einen Prototyen eines männli¬ 
chen Neonazis, den man - z.B. auf¬ 



grund aufgegebener Mitgliedschaft in 
neonazistischen Organisationen - 
nicht oder nur sehr schwer einschät¬ 
zen kann. Die »Ein-Personen-Zelle« 
ist für die Strafverfolgung undurch- 
dringbar. Anders Breivik, David Cope- 
land, Kay Diesner - alle diese mut¬ 
maßlichen »Einzeltäter« hatten vor¬ 
her die Anbindung an die Szene und 
mussten nicht das Gefühl haben, 
alleine zu handeln. So könnte Hunter 
nicht nur ein heimlicher Traum von 
Neonazis sein, sondern handlungs¬ 
weisend, z.B. wenn man sich den 
Mord an Burak Bekta§ in Berlin-Neu¬ 
kölln im Jahr 2012 anschaut: Ein bis 
heute unbekannter >weißer< Mann 
tritt wortlos auf eine Gruppe von als 
migrantisch zu erkennenden Jugend¬ 
lichen zu, schießt, dreht sich um und 
verschwindet. Kein Bekennerschrei¬ 
ben. Burak Bekta§ stirbt, Jamal und 
Alex überleben schwer verletzt. Und 
bis heute fragen wir uns: War das 
Motiv Rassismus? 

Die Denk- und Artikulierungswei- 
se von Neonazis betrachtend, muss 
man sich die Frage stellen: Was muss 
passieren, damit die Vorlage Hunter 
in die Realität umgesetzt wird? Die 
zahlreichen ungeklärten Morde und 
Anschläge in Deutschland betrach¬ 
tend ergibt sich aber auch die Frage: 
Gibt oder gab es den Hunter? Und 
wenn ja, wie viele? 

Eike Sanders 


Der verstorbene 
NA-Kader Craig A. 
Jackson mit 
Hunter T-Shirt 


Dieser Artikel 
wird in einer aus¬ 
führlicheren Versi¬ 
on auf unserem 
Blog »NSU-watch. 
info« veröffent¬ 
licht. 


monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 


3 










antifaschistisches pressearchiv und biidungszentrum beriin e. v. 


x> 

Wer mag hier 
eigentlich wen? 
»Gefällt-mir«- 
Angaben von ras¬ 
sistischen Face- 
book-Initiativen. 
Die Punkte 
außerhalb der 
Landkarte stellen 
brandenburgweite 
Initiativen dar. 



Geteilt & geliked 

Rassistische Potenziale im Land Brandenburg 

Als »Social-Media-Muffel« bezeichnete eine Studie zur Nutzung Sozialer Medien Anfang dieses Jahres die 
Brandenburger_innen. Doch dass die Sozialen Medien inzwischen flächendeckend Einzug gefunden haben, 
zeigt sich in erschreckender Weise an einer Recherche für den Online-Atlas Rechtes Land: Im Land Branden¬ 
burg sind Rassistlnnen sehr gut über Facebook vernetzt. 



6.000 

Likes 

4.000 

Likes 


2.000 

Likes 


E s ist egal, welche Aktivitäten 
gezählt werden, das Ergebnis lau¬ 
tet immer gleich: Die rassistische 
Agitation gegen Geflüchtete und 
Migrant_innen hat sowohl bundes¬ 
weit, als auch im Land Brandenburg 
enorm zugenommen. In den ersten 
vier Monaten diesen Jahres fanden 
hier 38 von 40 rechten Kundgebun¬ 
gen und Demonstrationen unter 
einem rassistischen Motto statt, 
dabei lag die durchschnittliche Zahl 
rechter Versammlungen in den Vor¬ 
jahren gerade einmal bei einem Dut¬ 
zend. 58 von 92 rechten Gewalttaten 
im Jahr 2014 wertete der Verein Opf¬ 
erperspektive als rassistisch moti¬ 
vierte Straftaten. Neben einem 
Gesamtanstieg, ist auch die Zahl ras¬ 
sistischer Gewalttaten deutlich höher 


als im vorangegangenen Jahr. Die 
Aufzählung geht weiter: Mit 120.000 
Zweitstimmen und damit knapp 12 % 
zog die Alternative für Deutschland 
(AfD) mit ihrem Anti-Asyl-Wahl- 
kampf in den Landtag ein und über¬ 
ragte die Ergebnisse der rassistischen 
NPD und DVU aus vorherigen Wahlen 
um Längen. Welche Gefahr noch 
droht, zeigt sich bei der Analyse der 
rassistischen Facebook-Aktivitäten. 

Vernetzung sichtbar machen 

Die Fülle von rassistischen Inhal¬ 
ten im Netz ist nicht überschaubar. 
Inzwischen gibt es bundesweit meh¬ 
rere hundert Facebook-Seiten, die 
sich gegen die Einrichtung von Asyl¬ 
unterkünften wenden. Ihre Namen 
sind oft ähnlich: Nein zum Heim X, 


Stadt Y wehrt sich oder schlicht Bür¬ 
gerinitiative Z. Die Zählung für das 
Land Brandenburg ergibt: 42 Face¬ 
book-Seiten mit 47.636 »Gefällt-mir« 
Angaben richten sich gegen die Ein¬ 
richtung von Asylunterkünften. 

Die populärsten Seiten sind dabei 
die beiden brandenburgweiten Seiten 
Brandenburg wehrt sich (über 6.300 
»Gefällt-mir«-Angaben) und Ein Licht 
für Deutschland gegen Überfremdung 
(knapp 5.000). Letztere wird dem 
Neonazinetzwerk Licht und Schatten 
aus Potsdam und Umgebung zugeord¬ 
net. Die Neonazis von Licht und Schat¬ 
ten pflegen enge Kontakte zu Maik 
Eminger, Zwillingsbruder des als NSU- 
Unterstützer angeklagten Andre Emin¬ 
ger und inzwischen Brandenburger 


4 


monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 



antifaschistisches pressearchiv und biidungszentrum beriin e. v. 


Sprecher der Neonazipartei Der III. 
Weg. Etwas weniger Klickzahlen 
haben dagegen die NPD-nahen Seiten 
Nein zum Heim in Guben (über 3.600), 
Nein zum Heim in Oranienburg (über 
3.000) und Nein zum Heim Eisenhütten¬ 
stadt (über 2.700), gehören aber als 
lokalorientierte Seiten zu den Spit¬ 
zenreitern. In allen drei Städten fan¬ 
den bereits rassistische Kundgebun¬ 
gen statt. Die meisten anderen der 42 
Facebook-Initiativen haben unter 
1.500 Klicks, viele verharren bei eini¬ 
gen Hundert »Gefällt-mir«-Angaben. 

Neben der Zustimmung lässt sich 
an den Daten ebenfalls erkennen, 
welche Initiative auf andere Seiten 
verweist, wodurch ein digitales Netz¬ 
werk sichtbar wird. Wieder gehört 
Nein zum Heim in Guben zu den am 
meisten genutzten Seiten: 14 der 42 
Seiten verweisen auf die Facebook- 
Initiative aus der Grenzregion. Dicht 
gefolgt von einer weiteren Grenz¬ 
stadt: Auf die Seite Frankfurt Oder 
wehrt sich verweisen zehn Branden¬ 
burger Facebook-Seiten. Nein zum Heim 
in Oranienburg (9), Nein zum Heim in 
Nauen (8) und Brandenburger für Mei¬ 
nungsfreiheit und Mitbestimmung (8) 
werden ebenfalls häufig auf anderen 
Seiten genannt. Alle Verbindungen 
haben wir in einer Grafik veranschau¬ 
licht. 

Nein zum Heim in Guben 

Es reicht allerdings nicht aus, die 
Klicks und Zahlen der digitalen 
Zustimmung zu zählen, ohne die 
Strukturen dahinter anzuschauen. 
Bei der Analyse fällt eine Seite auf: 
Nein zum Heim in Guben erhält als Seite 
mit Lokalbezug die meisten Likes, 
postet mehrmals täglich und ist auch 
auf der Straße aktiv. Dabei hat Guben 
gerade einmal 17.600 Einwohner_ 
innen. Würden nur Gubener_innen 
die Seite frequentieren, wurde es 
bedeuten, dass jede_r fünfte die ras¬ 
sistische Initiative unterstützt. Doch 
die Verweise von anderen Facebook- 
Initiativen nach Guben verdeutlichen 
eine brandenburgweite Aufmerksam¬ 
keit. Sogar bundesweit werden Ver¬ 
linkungen zu anderen Anti-Asyl-Sei- 
ten, ebenso wie zu rechten Seiten 
wie Junge Freiheit und Netzplanet getä¬ 
tigt. Dass es sich bei der Nein zum Heim 


in GuBEN-Seite um eine NPD-nahe Sei¬ 
te handelt, zeigt sich nicht nur an 
der Nutzung des NPD-Kampagnenlogo 
Asylantenheim? Nein Danke! als Titel¬ 
bild, sondern auch anhand von 
Berichten über NPD-Kundgebungen. 
Zuletzt riefen die Initiatorinnen der 
Facebook-Initiative zu einer Kundge¬ 
bung im März diesen Jahres auf. Es 
handelt sich um eine klassische NPD- 
Kundgebung mit Funktionärlnnen 
aus dem Oderland und der Lausitz, 
ebenso wie Anhängerinnen der JN 
Brandenburg. Sowohl Aileen Rokohl, 
Pressesprecherin des NPD-Landesver- 
bandes, als auch Landesschatzmeis¬ 
terin Manuela Kokott agitierten in 
ihren Redebeiträgen im Sinne der 
NPD gegen die Aufnahme von 
Geflüchteten in Guben. Vor 16 Jah¬ 
ren jagte eine Gruppe Neonazis den 
algerischen Asylbewerber Farid 
Guendoul in Guben zu Tode. Der bis 
heute aktive Neonazi und NPD-Funk- 
tionär Alexander Bode wurde damals 
als Haupttäter verurteilt. Bode gilt als 
eine der zentralen Akteure der rech¬ 
ten Szene in Guben. Auch für den 16. 
Mai ruft Nein zum Heim in Guben erneut 
zu einer Kundgebung gegen Geflüch¬ 
tete auf. 

Rassistisches Potenzial in 

Brandenburg 

Insbesondere die so genannten 
Nein zum HEiM-Initiativen entfalten 
ihr Potenzial im Internet. Während 
sonst ein paar Dutzend, höchstens 
aber 200 Menschen auf die Straße 
gehen, eröffnet Facebook einen Blick 
auf das noch nicht ausgereizte Poten¬ 
zial an Sympathisantlnnen: Zwar las¬ 
sen sich die über 47.000 »Gefällt- 
mir«-Angaben nicht eins zu eins in 
Personen umrechnen, denn viele 
Nutzerinnen liken mehrere Seiten 
zugleich oder nutzen mehrere Profile. 
Darüber hinaus, gibt es im Internet 
Tipps, wie »Gefällt-mir«-Angaben 
erhöht und sogar gekauft werden 
können. Klar ist, die Macherinnen 
der rassistischen Seiten haben ein 
Interesse, die Zahl der Klicks hochzu¬ 
halten. Wie hoch die genaue Anzahl 
der realen Personen hinter den 
Likes ist, bleibt unklar. Sicher ist: 
Mehrere tausend Personen geben ras¬ 
sistischer Hetze im Internet ihre 
Zustimmung. 




Brandenburg steht damit nicht 
allein da. Insbesondere der Anstieg 
von Gewalt- und Straftaten im 
Zusammenhang mit Unterkünften für 
Geflüchtete spiegelt eine bundeswei¬ 
te Entwicklung wieder. 

Rechtes Land hat bereits die 
rechten Aufmärsche in der Bundesre¬ 
publik gezählt, rechte Gewalt in 
unterschiedlichen Städten und Bun¬ 


Sehr beliebt: Ver¬ 
linkungen von 
rassistischen 
Facebook-Initiati¬ 
ven auf die Nein 
zum Heim in Guben- 
Seite. 



desländern kartiert und ebenso auf 
die Todesopfer rechter Gewalt hinge¬ 
wiesen. Der Online-Atlas Rechtes 
Land ist mit neuem Layout und neu¬ 
en Funktionen zu finden auf www. 
rechtesland.de sowie interaktive Kar¬ 
ten auf blog.rechtesland.de. 

Svenna Berger und Felix Hansen 


Wildes Durchein¬ 
ander: Die Linien 
zeigen die Verwei¬ 
se von rassisti¬ 
schen Initiativen 
untereinander. 

| Eine interaktive 
Version der Grafi¬ 
ken gibt es unter 
blog.rechtesland. 
de 


monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 


5 











antifaschistisches pressearchiv und biidungszentrum beriin e. v. 


10 


Rezension 

Rechte Existenzbeweise 

Erinnerungsorte der extremen Rechten - 
Martin Langebach und Michael Sturm 


Edition REchtsextremismus 

Martin Langebach 
Michael Sturm Hrsg. 


[Erinnerungsorte 
der extremen 
Rechten 




I st in der Öffentlichkeit von 
der Geschichtspolitik der ext¬ 
remen Rechten die Rede, geht es 
meist um Rudolf Hess oder soge¬ 
nannte Trauermärsche zur Erinne¬ 
rung an die Bombardierung deut¬ 
scher Städte im 2. Weltkrieg. Doch 
die geschichtspolitische Praxis der 
extremen Rechten ist facettenrei¬ 
cher als in Medien und Politik wahr¬ 
genommen wird. Ein neuer Sammel¬ 
band widmet sich dem historischen 
Gedächtnis der extremen Rechten. 

Pathos ist keine Mangelware, wo 
die extreme Rechte sich versammelt, 
um sich am liebsten beim Schein 
von Fackeln anhand von Personen 
und Ereignissen ihrer selbst zu ver¬ 
gewissern. Über Jahre stand der 
skurrile Kult um den Hitlerstellver¬ 
treter Rudolf Hess im Mittelpunkt 
der Aufmerksamkeit des Neonazis¬ 
mus und der Öffentlichkeit. Hess, so 
die mythenbildende These nach sei¬ 
nem Tod im Gefängnis Spandau 
1987, sei vom britischen Geheim¬ 
dienst ermordet worden. In den fast 
drei Jahrzehnten danach stieg Hess 
zur zentralen geschichtspolitischen 
Identifikationsfigur des Neonazis¬ 
mus auf. Sein Tod sei ein »Opfer¬ 
gang für Deutschland« gewesen, er 
selbst ein »Märtyrer des Friedens«. 
In dem in Rede stehenden Sammel¬ 
band spürt die Autorin Maica Vier¬ 


kant der Entstehung 
und der Rezeption des 
HESS-Kultes im Neona¬ 
zismus nach. Doch die 
Herausgeber und 
Autor_innen haben 
mehr im Blick. 

In der Einleitung 
skizzieren sie den 
»geschichtspoliti¬ 
schen Fundamentalis¬ 
mus« (Werner Berg¬ 
mann/Michael Kohl¬ 
struck) und erinnern 
daran, dass das historische Bewusst¬ 
sein der extremen Rechten von Vor¬ 
stellungen der zyklischen Wieder¬ 
kehr des Schicksals und der natur¬ 
haften Bestimmung des Kampfes der 
Völker um Raum geprägt sei. Begrif¬ 
fe wie »Heldentum« und »Opfer¬ 
gang« sind hier nicht leere Worthül¬ 
sen sondern ideologische Essenz 
und Urgrund geschichtlicher Ereig¬ 
nisse. Die extreme Rechte entwirft 
in allen ihren geschichtspolitischen 
Aktivitäten eine Gegenerzählung zu 
dem, was heute für deutsche 
Geschichte gilt. Angeblich alt-ger¬ 
manische Kultstätten finden sich zu 
Orten des Widerstandes gegen die 
westlich-römische Christianisierung 
Mitteleuropas aufgeladen, Kriegs¬ 
handlungen deutscher Freikorps zu 
antipolnischen Befreiungskämpfen 
stilisiert. Dass rechte Mythen im 
Umgang mit Erinnerungs- und Tat¬ 
orten des NS-Regimes Eingang in 
geschichtliche Narrative auch jen¬ 
seits der extremen Rechten finden 
konnten, belegt das Beispiel der 
Wewelsburg und ihrer angeblich 
sagenumwobenen »schwarze Son¬ 
ne«. Nachgezeichnet wird, wie Nar¬ 
rationen über SS in der Nachkriegs¬ 
zeit in die Zunft der Geschichtswis¬ 
senschaft gerieten und sich dort 
über Jahrzehnte erfolgreich festset¬ 
zen. 


Doch nicht nur der neonazisti¬ 
sche Flügel der extremen Rechten 
wob eifrig an identitätsstiftenden 
Mythen und Legenden. Der Beitrag 
von Volker Weiß über die Ahnen¬ 
galerie der Säulenheiligen der »kon¬ 
servativen Revolution« und deren 
Verehrung durch rechtsintellektuel¬ 
le Gruppen und Netzwerke zeigt, 
dass es nicht immer fester Orte der 
Konkretion von Geschichte bedarf, 
um ideengeschichtliche Herkunft zu 
gründen. Mit Carl Schmitt und Ernst 
Jünger hat die intellektuelle Rechte 
Leitsterne, die ihr auch dort leuch¬ 
ten, wo es nicht um ein örtliches 
Erbe, sondern um ein geistiges geht. 
Die Autorinnen des Bandes zeigen, 
dass die geschichtspolitischen 
Bezugsgrößen der extremen Rech¬ 
ten weiter zurückreichen als bis in 
die scheinbar omnipräsente NS-Zeit. 
Und so sind die Lesenden vielleicht 
künftig nicht mehr überrascht, 
wenn extrem rechte Gruppen zu 
Gedenkveranstaltungen zum Geden¬ 
ken an die antinapoleonische »Völ¬ 
kerschlacht« auflaufen, um dort das 
zu beschwören, was sie unter 
Deutschland verstanden wissen wol¬ 
len: eine Volksgemeinschaft im 
Kampf gegen ihre Feinde. 

Das Buch analysiert die 
geschichtspolitischen Existenzbe¬ 
weise der extremen Rechten kundig, 
umsichtig und mit Weitblick. Alle, 
die über rechte Geschichtspolitik 
mehr wissen wollen als in den Medi¬ 
enberichten über Neonaziaufmär¬ 
sche aus geschichtlichem Anlass zu 
erfahren ist, sollten zu diesem Sam¬ 
melband greifen. 

Christian Grünert 

Martin Langebach , Michael Sturm 
(Hrsg.): Erinnerungsorte der extremen 
Rechten. Wiesbaden 2015. 


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monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 









antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e. v. 


Kurzmeldungen 


ID 


Vereinigte Christen für 
Deutschland 

Fulda • Am 28. März 2015 fand die 
seit 2012 angekündigte Vereinigung 
der beiden christlich-fundamentalisti- 
schen Kleinparteien PBC (Partei 
Bibeltreuer Christen) und AUF (Partei 
Arbeit, Umwelt und Familie) statt. Der 
sperrige neue Name ist Bündnis C - 
Christen für Deutschland - AUF & PBC, 
Gleichberechtigte Vorsitzende sind 
Karin Heepen (Erfurt) und Ole Steffes 
(Dresden). Die Partei hat nach Eigen¬ 
angaben 3.000 Mitglieder; man erhof¬ 
fe sich von der Fusion ein Signal für 
mehr christliche Werte in der Politik. 
Der bisherige PBC-Vorsitzende Steffes 
hat angekündigt, die Partei wolle sich 
auf die Kommunalwahlen und die 
Europawahl im Jahr 2016 konzentrie¬ 
ren. 

1. Mai: Neonazis haben 
Zulauf 

Bund • Etwa 2.000 Neonazis nahmen 
am 1. Mai an den sieben unterschied¬ 
lichen extrem rechten Demonstratio¬ 
nen und Kundgebungen zum »Tag der 
Arbeit« teil. Damit wurden die Teil¬ 
nahmezahlen aus den Vorjahren leicht 
übertroffen. 

2014 waren 1.700 Neonazis auf der 
Straße, 2013 waren es 1800. Die 
Daten für 2015 im Einzelnen: 700 


Neonazis bei der Demonstration vom 
III. Weg in Saalfeld; 400 in Neubran¬ 
denburg (NPD), 350 in Essen (Die 
Rechte), 200 in Erfurt (NPD), je 150 in 
Worms und Mönchengladbach (beide 
NPD), sowie insgesamt rund 50 bei 
zwei Kundgebungen in Berlin (NPD). 
Flinzugezählt werden können zudem 
die rund 40 Neonazis, die eine DGB- 
Kundgebung in Weimar überfallen 
hatten. Kleinstkundgebungen veran¬ 
stalteten die PRO-Bewegung (in Ober¬ 
hausen und Mühlheim/Ruhr) und Die 
Republikaner (Duisburg). Bei der grö߬ 
ten Neonazi-Aktion am 1. Mai in Saal¬ 
feld kam es zu schweren Angriffen auf 
Gegendemonstrantjnnen und Journa- 
list_innen. 

Gescheiterte Maskerade - 
AFD-Funktionär ist Mitorgani¬ 
sator und Pressesprecher bei 
Bärgida 

Berlin • Die bisher bemüht unauffälli¬ 
ge Berliner AfD hat ihren ersten klei¬ 
nen Skandal um extrem rechte Perso¬ 
nen in den eigenen Reihen. Laut apa- 
biz-Recherche ist Heribert Eisenhardt 
nicht nur Beisitzer im Kreisverband 
Lichtenberg sondern außerdem Mitor¬ 
ganisator und Pressesprecher der asyl- 
und islamfeindlichen, stark neonazi¬ 
stisch geprägten BÄRGiDA-Aufmärsche. 
Hier nutzt er allerdings das Pseud¬ 



onym Reiner Zufall, um offensichtlich 
bewusst die Verbindungen zwischen 
Bärgida und AfD in Bezug aufseine 
Person zu verschleiern. Dem AFD-Lan- 
desvorstand seien die Undercover- 
Aktionen Eisenhardts bisher nicht 
bekannt, wie Pressesprecher Götz 
Frömming dem Neuen Deutschland 
berichtete. Die bisherige Linie der AfD 
sei demnach immer noch: »Wir halten 
uns von Bärgida fern.« Der Landesver¬ 
band steht nun unter Zugzwang, denn 
offensichtlich sieht Eisenhardt das 
anders. 


Als Reiner Zufall 
auch Pressespre¬ 
cher bei Bärgida: 
AfD-P olitiker 
Heribert Eisenhardt 
auf einer Bärgida- 
Kundgebung am 
04. Mai 2015. 

| (c) Christian 
Ditsch 


(Ein ausführlicher Artikel befindet 
sich auf unserem Blog »Berlin rechts- 
außen«.) 


Berliner Zustände 

Schattenbericht 2014 ist erschienen 


Erneut haben sich viele Gruppen und 
Initiativen an der Broschüre Berliner 
Zustände beteiligt. Schwerpunkte in 
der aktuellen Ausgabe sind die The¬ 
men: Geflüchtete Rassismus, Neona¬ 
zis und Antisemitismus, mit dem 
Fokus auf Berlin. 

Auf über 100 Seiten gibt es Texte, 
die das Geschehene im Jahr 2014 
darstellen und analysieren. Eine 
Fotoreihe zeigt die Bilder von den 
Özlem Günyol und Mustafa Kunt. Die 
Künstlerinnen besuchten die Gren¬ 
zen des Kosovo und hinterfragen in 
der Serie die häufig nicht sichtbare 
Präsenz von Grenzen und illustrieren 
deren Konstruiertheit. 


Die Broschüre ist auch in 
diesem Jahr wieder in 
Zusammenarbeit zwischen 
der Mobilen Beratungsstelle 
gegen Rechtsextremismus 
(MBR) und dem apabiz ent¬ 
standen. 

Unsere Fördermitglieder 
bekommen den Schattenbe¬ 
richt zugesandt. Interessier¬ 
te können ihn im apabiz 
gegen eine Schutzgebühr 
von 4,-Euro erwerben. 



monitor | rundbrief des apabiz e.v. | nr. 69, mai 2015 


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antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e. v. 


ID 

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derjnnen erhalten diese lx jährlich) 


Neu im Archiv 


In dieser Rubrik wollen wir Euch 
einen kurzen Überblick über 
Bücher, Broschüren und andere 
Medien geben, die im Archiv neu 
eingegangen und ab sofort verfügbar sind. Darüber hinaus werden wir auf bestimmte Sachge¬ 
biete hinweisen, zu denen Ihr Sammlungen bei uns finden könnt. Danke an die Verlage. 


• Astrid Dehe, Achim Engstier: Nagars Nacht , 
Steidl Verlag , Göttingen 2014. 

Im Mai vor 53 Jahren wurde Adolf Eichmann im 
israelischen Ramla hingerichtet. Der Roman 
erzählt die Geschichte von Shalom Nagar, der 
Eichmann in seiner Zelle bewachte und sein Hen¬ 
ker werden sollte. Und es erzählt die Geschich¬ 
ten von Moshe und Ben. Ben der Hörende und 
Fragende und Moshe der Schreibende, der um 
sein Leben schreibt, so wie Nagar um sein Leben 
erzählt. Immer wieder geht es um Eichmann. Sha¬ 
lom Nagar muss Blut vergießen um Eichmanns 
Blut abzuwaschen, er muss von ihm erzählen um 
seinen Fluch zu übertönen. 

Die Autorinnen haben sehr genau recherchiert, 
über den Eichmann- Prozeß, die Prozeß-Berichte, 
sowie den Dokumentarfilm »Der Henker« von 
2010. Es ist ein dichter Roman, der eine große 
Intensität beinhaltet, die manchmal kaum aus¬ 
zuhalten ist. Das Böse ist nicht aus der Welt zu 
schaffen - dies ist das realistische Fazit des 
Romans. Die Opfer kommen zu Wort und deswe¬ 
gen ist dieses Fazit nur logisch. 

• Alexander Häusler , Rainer Roeser: Die rechten 
>Mut<-Bürger. Entstehung , Entwicklung , Personal & 
Positionen der Alternative für Deutschland, VSA: 
Verlag , Hamburg 2015. 

Knapp zweieinhalb Jahre nach Gründung der 
AfD melden sich nun auch Alexander Häusler, 
seines Zeichens ausgewiesener Rechtsextremis¬ 
musforscher, und Rainer Roeser, der als freibe¬ 
ruflicher Journalist regelmäßig zum Thema Ext¬ 
reme Rechte publiziert, zu Wort. Sie fassen in 
ihrem knapp 150 Seiten umfassenden Buch per¬ 
sonelle und ideologische Wurzeln des relativ 
neuen politischen Players zusammen und geben 
einen Überblick über die bisherige Politik der 
rechtspopulistischen Partei. Dabei geben sie 
selbst Lücken zu, etwa in Hinblick auf die Hal¬ 
tungen der AfD zu Familie und Gender Mainstre¬ 
aming, doch manchmal liegt eben in der Kürze 
die Würze. So auch in diesem Buch, welches 
besonders zum Einstieg in die Thematik gut 
geeignet ist. 

• Lars Geiges, Stine Marg, Franz Walter: Pegida. 
Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, 
Transcript Verlag , Bielefeld 2015. 

Auch Schnellschüsse können ins Ziel treffen. 
Noch während die PEGiDA-Bewegung durch 
Dresden stapft, ist das erste Buch erschienen, 
das eine umfangreichere Darstellung dieses 
Phänomens wagt. Ein Team von Göttinger Polito- 
log_innen war bis Anfang 2015 bei den Ver¬ 
sammlungen zugegen, stellte Beobachtungen an, 
führte Gruppendiskussionen sowie eine quanti¬ 


tative Befragung von PEGiDA-Anhängerlnnen 
durch. Diese Daten sind Grundlage des topaktu¬ 
ellen Buchs. Hinzu kommen Rahmendarstellun¬ 
gen, etwa zur PEGiDA-Gründung und des Verhält¬ 
nisses zur AfD. Das Ergebnis kann sich sehen 
lassen. Die demografischen Daten und besonders 
die Einblicke in die Gedankenwelt der Pegidisten 
sind wertvolle Bausteine für die weiter nötige 
Diskussion. Angesichts des teils haarsträubenden 
Rassismus unter den Pegidisten ist der (bewe¬ 
gungsforscherisch legitime) Darstellungsstil des 
Buches an manchen Punkten gewöhnungsbe¬ 
dürftig, weil stark um neutrale Wiedergabe 
bemüht. 

• Sebastian Friedrich: Der Aufstieg der AfD. Neo¬ 
konservative Mobilmachung in Deutschland , Bertz 
+ Fischer Verlag , Berlin 2015. 

Der Bildungswissenschaftler Sebastian Friedrich 
legt auf knappen 109 Seiten einen durchaus 
gelungenen Versuch einer kompakten wie präzi¬ 
sen kritischen Analyse der AfD vor - sofern dies 
für die noch junge Geschichte der Partei möglich 
ist. Die zentralen Fragen, denen er dabei nach¬ 
geht, sind: Wie ist der schnelle Aufstieg der AfD 
zu erklären? Wer sind die Akteure und was sind 
ihre Ziele? Welche Entwicklung hat die Partei 
bisher genommen und wohin steuert sie? Wer 
wählt und unterstützt die AfD? Fiedrich betrach¬ 
tet den bisherigen Erfolg der AfD dabei auch vor 
dem Hintergrund eines konservativen gesell¬ 
schaftspolitischen Rollbacks. Für seine Analyse 
zieht er eine beachtenswerten Fülle an einleuch¬ 
tenden Beispielen heran. Er zeigt unter anderem 
auf, dass auch AFÜ-Chef Bernd Lucke entgegen 
der öffentlichen Wahrnehmung eine strategische 
Öffnung der Partei nach rechts gefordert und 
gefördert hat. Ein lohnendes Handbuch zur kriti¬ 
schen Auseinandersetzung mit der AfD ist es 
allemal. 

Das ti+ßr—ffiijcirfc a 
vom apabiz e.v. Vy 

Nicht nur für Vereine und Institutionen, sondern für 

alle, die in den Genuss des gesamten Service des 

apabiz e.v. kommen möchten, gibt es jetzt unser 
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